Wie bekämpfen wir häusliche Gewalt in der Pandemie?

Aktualisiert am 19.10.2022

Jede dritte Frau erlebt Gewalt im Laufe ihres Lebens. Jeden dritten Tag stirbt eine Frau durch die Hand ihres Partners oder Ex-Partners. Die Pandemie und der weiter verlängerte Lockdown wirken wie ein Brennglas und verstärken häusliche Gewalt. Was muss und kann jetzt getan werden? Hinschauen, Prävention, Täterarbeit!

Dazu sagt Micky Wenngatz, gleichstellungspolitische Sprecherin der SPD/Volt-Fraktion und Vorsitzende der Gleichstellungskommission der Landeshauptstadt München:

„Die Corona-Pandemie und der Lockdown verstärken Isolation und die fehlende soziale Kontrolle. Auch sind für Fachkräfte in Sozialeinrichtungen die familiären Belastungen nicht immer sofort erkennbar. Darüber hinaus tun sich Frauen häufig schwer, sich bei häuslicher Gewalt Hilfe zu holen.
Hier müssen wir alle zusammenhelfen, genau hinschauen und die Betroffenen auf Unterstützungsangebote aufmerksam machen.“

Aktuelle Situation

Auch außerhalb von Pandemie-Zeiten liefern die Polizeistatistiken dramatische Zahlen. 2019 zählte das Bundeskriminalamt 141.792 Menschen, die Opfer von Partnerschaftsgewalt wurden. Zu 81 Prozent waren Frauen betroffen. Rund die Hälfte davon lebte zum Tatzeitpunkt mit dem Täter/der Täterin in einem Haushalt. Damit sind die Zahlen nicht nur auf einem hohen Niveau geblieben, sondern sogar angestiegen. Für 2020 wird eine ähnliche Entwicklung erwartet. Seit 102 Tagen befindet sich Deutschland im zweiten Lockdown. Das hat auch gravierende Auswirkungen auf das Leben in ohnehin belasteten Familien.

Dazu sagt Dr. Julia Schmitt-Thiel, Stadträtin der SPD/Volt-Fraktion:

„Akut können wir alle auf die Situation aufmerksam machen und wir können hinschauen, zuhören und Hilfe holen. Langfristig ist Präventionsarbeit total entscheidend. Jungenarbeit. Mädchenarbeit. Wir brauchen starke Kinder, Frauen und Männer, die sich selbst behaupten können und bessere Antworten haben als Gewalt. Wie erfolgreich das sein kann, zeigt auch die Arbeit des Münchner Infozentrums für Männer.“

Wo Betroffene Hilfe finden

  • Beratung, Sozialbetreuung und Nothilfen: Eine datengeschützte und kostenlose Onlinehilfe bietet der Frauennotruf München unter www.frauennotruf-muenchen.de. Das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ ist ein 24-Stunden-Beratungsangebot, das unter der Nummer 0800 116 016 vertraulich und kostenfrei Unterstützung bietet. Die Nummer erscheint nicht auf der Telefonabrechnung. Niedrigschwellig helfen kann jeder, zum Beispiel durch das Aushängen der anonymen Kontakttelefonnummern.
  • Frauenhäuser: Es gibt 78 Plätze in Frauenhäusern, weitere 48 in zwei Häusern sind konkret in Planung. Die Zahl aber muss weiter erhöht werden (u.a. damit München die nach der Istanbuler Konvention vorgeschriebene Zahl von 156 Frauenhausplätzen erreicht). Laut Münchner Sozialreferat wurden 2018 in München 251 Frauen mit 263 Kindern aufgenommen, 65 Frauen wurden aus Kapazitätsgründen abgewiesen. Damit ist der Schnitt in München besser als bayernweit. Dort fand jede zweite Frau keinen Platz. Für den Fall, dass die Plätze in der Corona-Pandemie nicht ausreichen, wurde in München mit den Trägern der Wohnungslosenhilfe vereinbart, dass Frauen in den Einrichtungen Karla und Haus Agnes aufgenommen werden können.
  • Sensibilisierung aller gesellschaftlicher Gruppen und staatlicher Institutionen: Das Sozialreferat hat sich an Stellen gewandt, die für Frauen oft der einzige Weg nach außen sind: Supermärkte, Apotheken und Arztpraxen sind sensibilisiert und machen auf Hilfsangebote aufmerksam.
  • Die Stadt München investiert jährlich einen hohen Betrag für Aktivitäten im Bereich Gewalt gegen Frauen. Allein das Sozialreferat finanziert mit gut 3,6 Millionen Euro die Beratung von Betroffenen und deren Kindern sowie Präventionsangebote in verschiedenen Einrichtungen. Weitere zwei Millionen Euro fließen als Zuschuss an Präventionsprojekte und 3,2 Millionen Euro an die drei Münchner Frauenhäuser. Insgesamt gibt das Sozialreferat also fast 8,8 Millionen Euro aus. Dazu kommen noch Zuschüsse im Bildungs- und Kulturbereich. Präventionsarbeit ist ein wichtiger Schlüssel im Kampf gegen Gewalt gegen Frauen.

Wo Täter Hilfe finden

  • Das Männerzentrum München besteht seit drei Jahrzehnten und ist bundesweit eine Besonderheit. Männer finden hier Beratung, Selbsthilfegruppen und andere Angebote. Ziel seiner Arbeit ist die Förderung eines reflektierten Selbstverständnisses des eigenen Mann-Seins von Männern, insbesondere die Förderung gewaltfreien männlichen Handelns in der Partnerschaft, in der Familie sowie in der Gesellschaft.
  • Beratungsnummer des Männerzentrum: 089 / 543 95 56

Andreas Schmiedel, Münchner Informationszentrum für Männer, sagt:

„Täterarbeit ist Opferschutz, am effektivsten im Interventionsgefüge zusammen mit der Frauenunterstützung. Professionelle Täterarbeit kann die Weitergabe von Gewalt in den Familien auch über Generationen tatsächlich unterbrechen und beenden. Was es an Zeit, Geld, Mühe und professioneller Hilfe kostet, bekommt die Gesellschaft und der Staat als Vielfaches zurück.“

One Billion Rising

„One Billion Rising“ ist auch dieses Jahr wieder da, um die Menschen zusammen zu bringen und mit einem Tanz-Flashmob „Break the chain“ auf das Thema „Gewalt gegen Mädchen und Frauen“ aufmerksam zu machen. Coronabedingt findet die Aktion online statt. Den ganzen Tag über werden bewegende, ermutigende und engagierte Statements auf Instagram und Facebook gepostet. Jede/r kann sich an der Aktion beteiligen und die Videos teilen oder ein eigenes Statement mit dem Hashtag #1billionrising veröffentlichen.

Dazu sagt Romy Stangl, Vorstandsfrau One Billion Rising München e.V.:

„Augen auf – Gewalt gegen Frauen und Mädchen geht uns alle an. Sie ist kein Kavaliersdelikt, sondern eine der schändlichsten Menschenrechtsverletzungen und kein gesellschaftliches Problem, sondern eine Tatsache, die sich quer durch alle Gesellschaftsschichten zieht. Während wir Sicherheitsabstand untereinander einhalten können, haben viele Frauen und Mädchen keine Chance, sich der brutalen Nähe ihrer Peiniger zu entziehen. Wir brauchen einen gesetzlichen bindenden Rechtsanspruch auf Schutzunterkunft für von Gewalt betroffener Frauen und Kinder, eine umfassende Sensibilisierung der Gesellschaft zur Zivilcourage, ein flächendeckendes Netz von Hilfsangeboten, eine realistische Bedarfsermittlung von Schutzeinrichtungen, eine sichere Finanzierung von Frauenhäusern, Aufklärung an den Schulen und eine umfassende Ressourcenschaffung für Täterarbeit. Der Fokus liegt immer noch zu wenig auf den Tätern. Gewalttätiges Verhalten muss schärfer geahndet werden.“

Romy Stangl ist Vorstandsfrau bei One Billion Rising München e.V. Foto: privat
Romy Stangl ist Vorstandsfrau bei One Billion Rising München e.V. Foto: privat